Transistorloser Radiogenuss
von Günter Spanner
ELO 2009
Wenn man bereits mit Halbleitern aufgewachsen ist, so kann es durchaus
vorkommen, dass einem das momentan zu beobachtende Revival der Röhre
etwas unverständlich ist. Was kann denn so Besonderes dran sein an
einer Technologie die seit mindestens 40 Jahren als veraltet gilt?
Wieso erfreut sich die Vakuumelektronenröhre immer noch so großer
Beliebtheit?
Da ich bislang die meisten Artikel die sich mit Röhren und ihrer
Anwendung befassten höchsten einmal kurz überflogen und als
Kuriositäten abgetan hatte, beschränkte sich meine Erfahrung auf diesem
Gebiet auf die Grundkenntnisse aus dem Physikunterricht. Sicherlich
werden auch heute noch in einigen Spezialgebieten Elektronenröhren
eingesetzt, jedoch sind diese Einsatzgebiete inzwischen sehr rar
geworden und auch in den wenigen verbliebenen Anwendungsbereichen wird
die Bedeutung der Röhrentechnik wohl weiter zurückgehen.
Auch hört man des Öfteren von HiFi-Enthusiasten, die auf den Warmen und
weichen Klang von High-End-Röhrenverstärkern schwören, allerdings ist
bekannt, dass der typische „Röhrenklang“ durchaus auch mit Halbleitern
erzeugt werden kann. Letztendlich sind die technischen Hintergründe für
den speziellen Röhrenklang bestens bekannt: u. A. Nichtlineare
Kennlinien und ein weiches Einsetzen der Leistungsbegrenzung –
sicherlich keine Eigenschaften die nicht auch mit einem
Halbleiterverstärker erreichbar wären…
Was also ist so besonders an der Elektronenröhre? Diese Frage kann man
als Elektronikbastler wohl nur durch eigene Experimente klären. Das
Lernpaket „Röhrenradios selbst bauen“, das von der Firma AK-Modulbus
als Lizenzausgabe des gleichnamigen Franzis-Lernpakets vertrieben wird,
eignet sich bestens um die ersten eigenen Schritte zum Thema Röhre zu
unternehmen.
Die Schaltung des Radios entspricht im Wesentlichen dem Aufbau aus dem
obengenannten Lernpaket, es wurde lediglich einige optische
Aufhübschungen vorgenommen:
1) Der dem Lernpaket beiliegende Drehko wurde durch
einen mechanisch wunderbar gearbeiteten Luftdrehko ersetzt
2) Die Spule in Widerstandsbauform im Resonanzkreis
wurde durch einen Ferritstab und eine passende Spule mit HF-Litze
ersetzt.
Die die technischen Eigenschaften des Empfängers werden dadurch zwar
nur unwesentlich verbessert, aber die Optik gewinnt doch ganz
erheblich! Und da haben wir auch schon den ersten Punkt, der die
Wiederauferstehung der Röhre erklären könnte:
Die besondere Optik einer Röhrenschaltung
Hier ist die Sendersuche noch anschaulich nachvollziehbar: ein herrlicher Doppeldrehko aus längst vergangener Zeit
Der zweite Punkt drängt sich sofort nach Inbetriebnahme der Gesamtschaltung auf:
Die außerordentliche Akustik einer Röhrenschaltung
Im Originalaufbau des Lernpaketes wird für den NF-Verstärker der
bekannte LM386 eingesetzt. Damit wird eine sehr gute Empfangsqualität
und –lautstärke erreicht. Für meine Zeitreise in Richtung Vergangenheit
war aber natürlich ein Halbleiterverstärker nicht akzeptabel.
Glücklicherweise befindet sich noch ein 2 x 4 Watt
Stereo-Röhrenverstärker der Firma Dual in meinem Besitz, dem bislang
aus den bereits eingangs erwähnten Gründen kaum Beachtung geschenkt
wurde. Dieser war aber nun natürlich das Mittel der Wahl. Kann man
diesem Dinosaurier der Technik aber noch Klänge entlocken?
Man kann!
Anstelle des Halbleiterverstärkers wurde nun also eine alte 5-polige
Diodenbuchse gesetzt und das Signal des Röhrenempfängers mittels eines
antiken Überspielkabels in den Dual-Verstärker eingespeist.
Einsatz einer früher weitverbreiteten „Diodenbuchse“ auf dem Breadboard
Vor Inbetriebnahme des guten Stückes musste dieses natürlich zunächst
genauestens inspiziert werden, um unliebsame Überraschungen
(Feuergefahr ?!) auszuschließen. Bei der vorsichtigen und sorgfältigen
Analyse entstanden die folgenden Aufnahmen (Anmerkung: Um auch visuell
den 50er-Jahre Eindruck zu erhalten wurden die Aufnahmen in
“Sepia“-Technik erstellt):
Zwei Röhren für Stereogenuss! Leider liefert das Radio nur Monosignale,
so dass hier beide Kanäle einfach parallel betrieben wurden
Echte Wertarbeit: Innenansicht des Dual Stereo-Röhrenverstärkers
Nachdem alle Elkos noch sehr vernünftig aussahen und der einzige Mangel
-eine gelöste Verbindung des Netzkabel aus einer Lüsterklemmenfassung -
schnell repariert war, wurde es Zeit für das große Experiment:
Der Verstärker wurde nach mindestens 30 Jahren wieder eingeschaltet!
Natürlich stilecht auf dem Intarsien-Tisch: Der Dual-Röhrenverstärker mit immerhin 2 x 4 Watt an 8 Ohm am Röhrenradio
Und dann der Große Augenblick:
Nach der obligatorischen Röhrengedenkminute (=Aufwärmzeit) tönen
tatsächlich Mittelwellenklänge durch den Raum! Ein faszinierendes
Erlebnis, genau so wie es wohl in den 40er und 50er Jahren des letzten
Jahrhunderts hätte stattfinden können - im wahrsten Sinne des Wortes:
Semiconductor – off limits! Natürlich wird das Röhrenradio selbst mit
Batterien betrieben, obwohl das bei einer Stromaufnahme von etwas über
400 (in Worten: vierhundert (!)) mA ein vergleichsweise teures
Vergnügen ist. Aber ein garantiert halbleiterfreies Netzgerät konnte
eben bislang noch nicht aufgetrieben werden…
Nach einer Betriebszeit von ca. 20 Minuten wurde mir dann auch noch der
dritte Grund für die vielbeschworene „Wunderbare Stimmung“, welche ein
Röhrengerät verbreiten soll offenbart::
Die bemerkenswerte olfaktorische Wirkung einer Röhrenschaltung
In der Tat, Röhrengeräte machen sich auch durch ihren Geruch bemerkbar.
Hier kamen dann ganz unvermittelt Kindheitserinnerungen zurück. Denn
ebendiese charakteristische Geruch scheint nahezu allen sich im Betreib
befindlichen Röhrengeräten zu Eigen zu sein. So auch dem alten
Röhrenradio meiner Großeltern, das in jenen Tagen das gleiche
olfaktorische Panorama bot wie dieser Dual-Verstärker. Vermutlich
entstehen diese Gerüche durch die nicht unerhebliche Wärmeentwicklung
der Röhren, so dass der dort immer in gewissem Maße vorhandene
Zimmerstaub langsam einbrennt. Auch aus den verwendeten Materialien
könnten natürlich gewisse Substanzen ausdampfen. Aus welchen
Komponenten sich dieser typische „Röhrengeruch“ allerdings genau
zusammensetzt entzieht sich meiner Kenntnis.
Insbesondere abends in einem abgedunkelten Zimmer, bietet damit ein
Röhrenradio also Eindrücke für alle Sinne und damit ein im Vergleich zu
Halbleitergeräten unvergessliches Gesamterlebnis…
Könnte es etwas Gemütlicheres geben: das warm-rote Glimmen der Röhre aus dem Lernpaket „Röhrenradios“