Röhren für Kleinstspannungs-Anwendungen         

Uwe Faulenbach ® August 2015                   
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0.1. Einleitung
Es wird von Bastlern angenommen, daß Exemplar-Streuungen der Steilheit von Röhren im Herstellungsprozeß sich in Schaltungen mit 12V Versorgungsspannungen enorm auswirken. Das ist nur scheinbar zutreffend. Mir ist dazu im Netz auch aufgefallen, daß U$-amerikanische Röhrenprüfgeräte vorwiegend nach Steilheitswerte beurteilen; während Röhrenprüfgeräte von europäischen Herstellern vorwiegend die Anodenströme bewerten. Beide Verfahren sind für den Hochvoltbereich hinreichend genau, aber für Bastler welche mit Hochvoltröhren im Kleinstspannungsbereich bis 20V arbeiten, doch arg irreführend.
 
Irreführend, weil sich die Bewertung der Steilheit mehr am Symptom orientiert, und die Bewertung nach Anodenstrom im Hochvoltbereich, nur bedingte Aussagekraft über die Verwendbarkeit von Röhren im Kleinstspannungsbereich hat. Dieses erscheint Uneingeweihten ein Widerspruch. Gemäß dem, was ich gemessen habe, sind diese Aussagen vielmehr eine indirekte Bestätigung sind.
 
0.2. Die Steilheit ist nur das Symptom - nicht Ursache des Problem!
Beweis: Es gibt Röhren, welche für geringe Steilheiten konstruiert und gebaut wurden, welche sich trotzdem in 12V-Schaltungen tapfer behaupten – z.B. die legendäre RV12P2000 und ihr Nachbau die 12Ж1Л (12SH1L; 12J1L; 12Zh1L) - und zwar mit einer Steilheit von nur S=1,5mA/V (laut Datenblatt). Zudem: Die mechanische Ausführung eines Röhrentyps ist innerhalb einer Fertigungsserie eines Herstellers bei allen Röhren untereinander weitgehend identisch; und die Röhren ändern während der Lagerung und Nutzung auch nicht ihren mechanischen Werte. Daran kann es also auch nicht liegen.
 
Auch viele Batterieröhren wie die NOS DF91, DL93, DL98 usw. mit Steilheitswerten von S=0,17mA/V bis 3mA/V halten sich vergleichsweise tapfer (9). Die EF95 und ihre Austauschtypen hingegen haben laut Datenblatt eine Steilheit um 5mA/V, wobei dieser Allerwelts-Standard-Röhren oft Probleme bereitet. Sie eignen sich offenbar nicht immer für Kleinstspannungsanwendungen. Die Autoröhren (EF97, EF98, ECC86 usw.) hingegen mit ihren Werten um 2mA/V bis 5mA/V machen trotz ihrer Streuungen in der Steilheit ebenfalls keine Probleme. Das gleiche trifft für viele Spanngitter-Röhrentypen zu.
 
ERGO: Also an der Steilheit kann es nicht liegen.
 

1.1. Funktionsweise der Hochvakuum-Röhren
In dieser Studie möchte ich mich weitgehend nur auf Hochvakuum-Röhren mit indirekt geheizten Oxydkathode beschränken. Denn diese machen den größten Teil jener Röhren aus, die heute fürs Basteln mit Elektronenröhren verwendet werden. Die Heizung soll sich stets im Betriebszustand befinden, soweit nichts anderes geschrieben steht.
 
Die genannten Röhren haben i.d.R. in ihrem Arbeitsraum (meistens sind dieses Glaskolben) ein sehr hohes Vakuum von 10-6 ….. 10-7 Torr. Der uns umgebende Luftdruck beträgt hingegen rund 760 Torr = 101325 Pa = 1013,25 hPa.  Die Restluft in einer Röhre entspricht daher in etwa folgendem: In einem Hohlraum der Größe von 1m Höhe * 1m Breite *1m Länge – also von einem Kubikmeter (1m3) befindet sich ein Vakuum mit einer Restluft von nur einem Kubikmillimeter (1mm3) Luft (unter Normaldruck). Das ist so wenig, daß die restlichen Atome so verdünnt vorkommen, daß die Elektronen in der Röhre praktisch nicht mit den Restgasen zusammen stoßen können.
 
Die einfachste Ausführung einer Hochvakuum-Röhre ist die Hochvakuum-Diode mit Glühkathode – kurz Diode genannt. Sie hat eine Glühkathode und eine Anode. Elektronen mit ausreichender Austrittsenergie aus der Glühkathode vermögen gegen eine gegenüber der Kathode schwachen negativ geladenen Anode sowie sich dort bereits befindenden Elektronen anzudrängen. Es bildet sich so eine Elektronenwolke um die Kathode, welche alle leitenden Teile in der Röhre negativ aufladen – also auch die Anode. Ist die Anode mit der Kathode verbunden, so fließt ein schwacher von der Kathodentemperatur abhängiger Anodenstrom. Diesen Strom nennen wir Anlaufstrom.
 
Die einfache Verstärkerröhre ist die Triode – also eine Röhre mit drei Elektroden: Kathode, Steuergitter und Anode. Die Tetrode und Pentode besitzt zusätzlich zwischen dem Steuergitter und der Anode noch ein Schirmgitter, welches das Steuergitter vor dem Einfluß der Anode abschirmt. Die Pentode besitzt zudem gegenüber der Tetrode zwischen Schirmgitter und Anode noch ein sogenanntes Bremsgitter, welches das Schirmgitter vor den Vorgängen an der Anoden und anderen Einflüssen von der Anode her schützt – diese Einflüsse sozusagen „ausbremst“.
 
Ist das Steuergitter einer Triode über einen hochohmigen Widerstand mit der Kathode verbunden, so fließt ein schwacher Strom durch diesen Widerstand und es bildet sich im Steuergitter durch diesen Anlaufstrom ein negatives Spannungspotential gegenüber der Kathode aus, welches häufig Gittervorspannung genannt wird. Diese Gittervorspannung drängt durch ihre negative Ladung ein Teil der Elektronen wieder in Richtung Kathode zurück. Je höher die negative Spannung am Steuergitters ist, um so energischer drängt das Steuergitter die Elektronen zur Kathode zurück. Ein offenes Steuergitter wird dieses durch den Anlaufstrom derart stark negativ aufgeladen, daß fast keine Elektronen mehr zur Anode gelangen können. Auf diesem Prinzip basiert die Verstärkerwirkung der Röhren.
 
1.2. Allgemeine Betrachtungen von Hochvoltröhren
Hochvoltröhren mit indirekter Heizung und Oxydkathode arbeiten im Normalbetrieb nicht bis in den Sättigungsstrombereich; sondern nur bis Ik(max) =0,01*Isät. Zwar ist die Steilheit einer Röhre (im Hochvoltbereich) weitgehend durch ihre Konstruktion und dem Schaltungsaufbau, in der sie sich befindet, bestimmt. Doch zeigt sich innerhalb eines Röhrentyps stets der Zusammenhang zwischen Kathoden-Strom und Steilheit der Röhre. Z.B. bei Alterung einer Röhren sinkt wegen nachlassender Emissionsleistung der Kathode auch der Kathoden-Strom und somit auch deren Steilheit. Denn wo wenige Elektronen fließen, vermag selbst das „beste“ bzw. „schärfste“ Steuergitter nur wenige Elektronenströme zu steuern.  (1)
 
Da man in den 30er bis 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts in den üblichen Schaltungen nur Verstärkerröhren aus der üblichen Hochvolt-Schaltungstechnik verwendete (mit Ausnahme der Autoröhren und Röhren in den Schwerhörigen-Geräte usw.), handelt es sich auch heute bei den üblichen Röhren noch weitgehend um modernen Hochvoltröhren – also um Röhren für Betriebsspannungen von 60V bis über 1000V. Die Masse der Röhren wurden auch hierfür entwickelt und gebaut. Daher soll auch unter diesem Punkt vorwiegend diese modernen Hochvoltröhren betrachtet werden.
 
Die genannten Röhren werden i.d.R. über Kathodenwiderstände betrieben, wodurch bei sinkendem Kathodenstrom die Spannung zwischen Kathode und Steuergitter (-UGK) ebenfalls sinkt. Das Sinken von -UGK wirkt nun seinerseits dem sinkende Kathodenstrom entgegen.
 
In Widerstandsverstärkern mit Trioden sind die Anoden über Widerstände mit der Betriebsspannungsquelle verbunden. Analog dazu ist das Schirmgitter von Pentoden in üblichen Verstärkerschaltungen über Widerstände mit dieser Spannungsquelle verbunden. (Nur in besonderen Fällen wird das Schirmgitter bei Pentoden über einen Spannungsteiler betrieben – z.B. Rückkopplungsregelung im Audion.) Sinkt durch Alterung der Kathodenstrom, so sinkt auch der Anodenstrom bzw. Schirmgitterstrom. Dadurch steigt die Spannung am Schirmgitter der Pentode bzw. die Anodenspannung der Triode.
 
Das nun höhere Spannungsfeld im Kathode-Steuergitter-Anode-Raum bei Trioden bzw. im Kathoden-Steuergitter-Schirmgitter-Raum bei Pentoden bewirkt ebenfalls eine höhere Saugkraft auf die Kathode und wirkt somit dem fallenden Kathodenstrom entgegen. Diese Maßnahmen vermögen gewisse Verluste der Kathoden-Emissionsleistung auszugleichen. Doch ab einer gewissen Grenze sind die Röhren trotzdem unbrauchbar. (6)
 
ERGO: Mit zunehmender Ug2- bzw. UaT-Spannung vermag die zunehmende Feldstärke stärker Elektronen durch das Steuergitter hindurch zu „greifen“ - daher der Begriff "Durchgriff" – d.h.: das Spannungsfeld Ua<>Ug1 bzw. Ug2<>Ug1 "greift" die Elektronen durch die Steuergitter-Maschen hindurch und saugt so zunehmend Elektronen aus der Elektronenwolke zwischen Kathode und Steuergitter ab und oft auch aus der porigen Kathode heraus - soweit die Feldstärken das zulassen. (3)
 
Bei Betriebsspannungen gemäß den Datenblättern (speziell Ug2k bei Pentoden/Tetroden bzw. Uak bei Trioden) wirken sich Fertigungstoleranzen in der Emissionsleistung als auch derselben alterungsbedingt also nicht so kraß aus. Hierdurch erfüllen viele Röhren – oft trotz geringerer Anlaufströme bzw. höheren Alters - die Normwerte laut Datenblatt. Daher sehen die heutigen Hersteller auch keinen Anlaß ihre Fertigungstechnologien zu ändern. Das gilt nicht nur für die EF95, sondern allgemein. 
 
ERGO: Es können Unterschiede in der Steilheit in ungleichen Emissionsleistungen der Kathoden (zu geringer Anlaufstrom bedingt durch Fertigungstoleranzen) oder in der Alterung gesucht werden (was ebenfalls eine Verringerung der Emissionsleistungen bedeutet).
 

 
2.0. Röhren-Anwendungen in der Kleinstspannung-Technik
Bei kleinen Spannungen bis 12V ist hingegen die Emissionsleistung der Kathode (also der Kathoden-Anlaufstrom) sehr stark für die Funktionstüchtigkeit der Schaltung ausschlaggebend. Denn die geringen Feldstärken zwischen Anode und Gitter bei Trioden (bzw. zwischen Schirmgitter und Steuergitter bei Pentoden und Tetroden) im Kleinstspannung-Bereich vermögen nicht tief in den Kathoden-Steuergitter-Raum zu „greifen“, und erst recht nicht Elektronen aus der porigen Kathodenschicht zu „saugen“. Was bei dieser Röhrennutzung an „Saugkraft“ fehlt, muß also der Elektronen-Emissionsdruck der Kathoden bewerkstelligen.
 
ERGO: Wenn also bei Hochvoltröhren das Kathodenmaterial nicht ausreichend aktiviert wurde bzw. nicht leistungsfähig genug ist, dann sind diese für die 12/6Volt-Kleinstspannungs-Anwendungen praktisch nur bedingt bis unbrauchbar.
 
2.1. Anlaufströme messen
Das Messen dieses Anlaufstroms ist recht einfach möglich; und ersetzt oft ein teures Röhrenprüfgerät. Diese Messung kann man sogar in jener Schaltung, in der später die Röhre arbeiten soll, durchführen. Dazu lötet man zuerst die Schaltung soweit zusammen, daß die Röhrenfassung bereits mit der vorgesehenen Stromquelle für die Heizung ordnungsgemäß verbunden ist. Jetzt lötet man an der Röhrenfassung provisorisch einen Draht an den Kathodenanschluß und verbindet nun mit einem zweiten Draht die Anschlüsse für Gitter und Anode (bei Pentoden zudätzlich Schirmgitter + Bremsgitter mit der Anode). (Diese Röhre wird so zur Diode geschaltet.) Nun verbindet man die zwei Drähte mit ein Multimeter, und stellt den Meßbereich auf  5mA oder 10mA oder einem anderen Meßbereich ein, auf dem man Ströme von 0,5mA bis 6mA gut ablesen kann.
 
Das Meßgerät muß kein teures Gerät sein. Ein einfaches Meßgrät z.B. der analoge Multitester von REV-Ritter (von Westfalia) oder das Analog-Multimeter EM330 (von Pollin) reichen völlig aus. Es lassen sich auch Digital-Multimeter verwenden. Bei diesen lassen sich aber der Anstieg der Anlaufströme nicht so gut mitverfolgen. (Der Mensch ist nun mal in seiner Wahrnehmung „analog“ konstruiert.)
 
Nun steckt man die zu prüfende Röhren in die Fassung und schaltet die Heizung ein. Es dauert je nach Röhrentyp etwa ½ bis 5 Minuten, bis die Kathode durchgewärmt ist. Während dieser Zeit sieht man bereits den Anlaufstrom langsam ansteigen. Bei voll durchgewärmter Kathode steigt der Strom dann nicht mehr weiter. Will man Röhren eines anderen Typs testen, so muß man die Anschlüsse entsprechend der Sockelbelegung der betreffenden Röhre vorher umlöten. (Das gilt auch für Röhren mit mehreren Systemen in einen Kolben z.B. ECC, ECF, ECL, EABC usw.. Man kann aber auch ein jedes System wie oben beschrieben getrennt verdrahten und jedes System separat mit einem passenden Meßgerät verbinden. So lassen sich Verbundröhren in einem Vorgang komplett testen. Das vereinfacht die Überprüfung von Verbundröhren erheblich).
 
Arbeitet diese provisorische Schaltung ordnungsgemäß, so lassen sich problemlos weitere Röhren des selben Typs durch einfaches Austauschen auf der Steckfassung reihenweise testen. Man braucht dazu nichts anzuschalten. Man zieht einfach die bereits getestete Röhre aus der Fassung und steckt die nächste hinein. Ist die provisorische Schaltung stabil, sauber und fehlerfrei aufgebaut und werden die Röhrentypen nicht gewechselt (bzw. nicht verwechselt), dann kann man praktisch beim Prüfen keine der Röhren zerstören. 
 
2.2. Hohe Anlaufströme sind der Schlüssel zur Problemlösung
Ist der Kathoden-Anlaufstrom also gering, so vermag die Anoden-/Ug2-Spannung von 12V oder gar 6V aus dem Kathoden-Steuergitter-Raum auch nur wenige Elektronen zu saugen, was diese Röhre letztlich für den Kleinstspannungs-Einsatz nur sehr eingeschränkt oder gar unbrauchbar machen kann. (9)
 
Für Kleinstspannungsanwendungen bedeutet das: je höher der Anlaufstrom, um so besser.
 
Besitzt eine Röhre einen hohen Anlaufstrom, dann vermag dieser nicht nur das Steuergitter negativ aufzuladen sondern auch über deren Gitterableitwiderstand einen Gitterstrom und somit eine negative Gittervorspannung zu erzeugen. Der Anlaufstrom ist bei neuen Spanngitterröhren oft so energiereich, daß sogar Elektronen durch die Steuergittermaschen hindurch zu den anderen Elektroden gelangen können (das Steuergitter ist dabei mit der Kathode verbunden). Zum Messen müssen daher alle Elektroden, welche in Richtung der Kathode vor der zu prüfenden Elektrode liegen, mit der Kathode kurzgeschlossen sein. Die Anlaufströme können bei Spanngitterröhren so kräftig sein, daß eine Oszillatorschaltung oder Audion-Schaltung mit Pentode bei eingeschalteter Heizung sogar ohne sonstige Betriebsspannung auskommt. (9); (10)
 
Wie stark der Elektronen-Emissionsdruck der jeweiligen Kathoden der einzelnen Röhren ist, läßt sich wie folgt in einfacher Form abschätzen: Man mißt bei konstanter Heizspannung gleichzeitig die Anteile der Anlaufströme 1. über das Steuergitter sowie 2. über die Anode (bzw. Pentoden und Tetroden in Triodenschaltung).  Hierbei spielen sicherlich auch die Abstände der Elektroden im jeweiligen Röhrentyp eine Rolle. Es zeigt sich so, wie hoch diese Ströme bei 0Volt sind. Und somit läßt sich auch abschätzen, mit welchen Anodenströme man bei kleinen Anodenspannungen sowie Ug2 + Uap rechnen kann.
 
Bei den Auto-Röhren sind die Elektronen-Emissionsdrücke besonders hoch. In der oben beschrieben Diodenschaltung mit Ua=0V konnte man bei allen NOS EF97/98, ECC86, EBF83 usw. je System (außer den kleinen Dioden) Anlaufströme von 4mA bis über 5mA messen! Das sind mehr als das Doppelte gegenüber den NOS EF80-Röhren.
 
Die Spanngitterröhren EF183, EF184, ECC88; EC88, usw. zeigten hier ein etwa gleiches Verhalten wie die Auto-Röhren. Das dürfte für Bastler der Kleinstspannungstechnik von besonderem Interesse sein, weil die Fertigungstoleranzen der NOS EF183/184, ECC89, PCC189 vergleichsweise klein und diese reichlich und preiswerter als die EF80 angeboten werden (z.B. Pollin u. Conrad). Teilweise sind die EF183/184 sogar weit preisgünstiger als die EF97/98.
 
Bei den Hochvoltröhren z.B. NOS EF80, EF85, EF89, PCF80, ECC83, ECC82, ECC85 usw. konnte ich (mit wenigen Ausnahmen) hingegen je System nur Anlaufströme um die 0,5 - 2mA messen! Bei 12V brachten sie vergleichsweise nur sehr mäßige bis miese Ergebnisse.
 
ERGO: Röhren mit kleinem Anlaufstrom zeigen also bei kleinen Betriebsspannungen auch nur kleine Anoden- und Kathodenströme.  Selbst bei noch guten Steilheitswerten, lassen sich diese Werte wegen geringem Ia bzw. Ik nicht wirkliche nutzen.
 
2.3. Große Röhren bei kleinen Spannungen
Bei Leistungsröhren wie EL34/36, EL81 usw. liegen die Probleme wegen deren große Kathodenoberflächen etwas „besser“. Das zeigt sich insbesondere bei der P/EL500 und deren Nachfolger P/EL502 bis EL509 mit ihren vergleichsweise riesigen Kathoden. Für Betriebspannungen von 30V bis 80V mögen letztere daher sinnvoll sein; doch für 12V-Anwendungen lohnen sie sich m.E. schon wegen der großen Heizleistung und den dafür nötigen zusätzlichen Aufwand kaum. Und selbst im 40-80V-Bereich bringen Röhren wie die ECL 80/81/82/84/86, EL91, EL95 usw. bei weit geringerer Heizleistung für Empfänger mit Lautsprecher ausreichend gute Leistungswerte. Nur wer mehr Lautstärke haben möchte, der sollte zu den „großen“ Röhren greifen.
 

3.1. Betriebsspannungen: 6-12V versus 30 - 60V
Meiner Meinung nach sollte man die Kleinstspannungstechnik von 0V bis 20V nicht überbetonen. Für Spannungen (Schutzkleinspannung) von 24V bis 60V besteht m.E. i.d.R. keine wesentlich größeren Gefahren.(4) Mit höherer Spannung als 12V ließen sich auch gebrauchte Röhren noch besser nutzen. Dies meine ich in Hinsicht auf die Röhren der P- und U-Serie, welche sich mittels eines 24V-Trafo beheizen lassen. Die Betriebsspannung von 32V= ließe sich dann durch Gleichrichtung aus den 24V~ gewinnen.
 
Fachlich erfahrene Personen können aus den 24V~ mittels Spannungsvervielfacher 60V= bis über 80V= bereitstellen. Es lassen sich so bereits leistungsfähige Röhrenempfänger bauen. Denn ab etwa 60V bis 200V zeigen viele Hochvoltröhren erst richtig was in ihnen steckt. Bereits mit einer Erhöhung der 12V Betriebsspannung auf 30V spürt man sehr deutlich eine enorme Leistungssteigerung. Insbesondere bei  Audion-Schaltungen.
 
Auch sind hohe Spannungen mit Strömen von 1-2mA wenig gefährlich. Sie sollten allerdings nur mittels kleiner Kondensatoren bis maximal 10nF - 100nF bereit gestellt werden. Wie bei Weidezaun-Anlagen sind elektrische Schläge dann mehr ein Schreck, denn eine Gefahr.
 
3.2. Beispiel-Röhrenkombinationen für Projekte mit 24V~ Heizung
Ich denke z.B. an folgende und ähnliche Kombinationen. Dabei habe ich in den folgenden Beispielen die Röhren nach Heizungsgruppen nicht aber nach Funktionsgruppen zusammen gestellt. Möchte man einen Röhrentyp gegen andere Typen austauschen, so sind gegebenenfalls die Gruppen strom- und spannungsmäßig passend neu zusammen zu stellen. (PS: Adressen für geeignete Netztrafos hänge ich unten an.)
 
Die Heizungsgruppen sind dabei so zu ordnen, daß die Summen der Heizspannungen mehrere Volt unterhalb der 24V Versorgungsspannungen bleiben, um eine Kompensation der Differenz mittels Widerstände bzw. Heizungs-Anlauf-Schaltung zu ermöglichen. Das schont die Röhrenheizer!!!
 
Es lassen sich in den 300mA-Reihenheizung auch Mischungen mit passenden E-Röhren zusammen stellen. Und wo eine Lücke für eine benötigte Röhre auftritt, kann diese auch mittels Röhren der U-Serie schließen – z.B. UBF80 (Uh= 19V); UCH81 (Uh= 19V); UF80 (Uh= 19V); UF85 (Uh= 19V); UM80 (Uh= 18V) usw. usf. 
 
Es ist auch sinnvoll, die speziellen Röhren ECC81 bis ECC83 mit ihren Mittelanzapfungen der Heizung nur in 150mA-Reihenschaltung zu nutzen – z.B. In Reihe mit einer EC90/92. Denn in der 300mA-Reihenschaltung hätte der Ausfall einer Fadenhälfte sofort auch den Tod der anderen Fadenhälfte zur Folge. So aber läßt sich bei Heizfadenschaden das noch intakte Röhrensystem weiterhin nutzen.
 
Unter den Röhren der E-Serie wären auch 200mA-Reihenschaltungen denkbar – z.B. EL91/95 mit EF83/86/89 und EC86 sowie z.B auch die EC95/900 mit einem Parallel-Widerstand von 315Ω / 0,5W. Auch andere Röhren ließen sich auf diese Weise nutzen.
 
Dieses 24V-System für die Röhrenheizung ist also in der Röhrenauswahl enorm flexibel. Hier einige Beispiel:
 
- 1xPFL200 (Uh=17V);
- 1xPFL200 + PC86/88/92/96/97/900(Σ Uh ca. 21V);
- 1xPCL81 + 1xEF184/183 (ΣUh = 19V);
- 1xPCL86 + 1xEF184/183 (ΣUh = 20V);
- (1xPCL82 + 1xPM84) + 2xPCC85 (ΣUh =20V||18V);
- 1xPCL85 + (2xPCC84 + 1xPC86/88/92/96/900 (ΣUh =18V||ca. 18V);
- 1xPCL81 + 1xPCF80/86/801/803 (ΣUh = 20V );
- 2xPCL85 + 1xUF80 +1xUF85 (ΣUh = ||18V ||18V ||19V ||19V );
- 1xPL508 + (1xPL508 + PM84) + (2xEF183 + 1xPCC84/88) + (2xEF85 + 1xEBF89) (ΣUh =17V||21V||20||19V)
- 2xPCL85 + (1xEF183 + 1xECH81 + 1xEF85) + (1xPCF82 + 1xEF85 + 1xPC92) + (1xEBF80/83/89 + 1xPABC80+ 1xPCC88)  (ΣUh =18V||18V|| 19V||19V||20V)
usw. usf.
 
Mit diesem Ansatz lassen sich viele preiswerte Projekte mit echtem Gebrauchswert realisieren; vom 0V1 bis zum MW-/KW-Doppelsuper, weil man sich unter den vielen Möglichkeiten preiswerte Röhren zum Projekt aussuchen und zusammenstellen kann. Auch sind die Steilheit als auch Rauschwerte von Hochvoltröhren im Bereich von 30V – 60V deutlich besser als in der 12V-/6V-Technik.  (2)
 
Die Differenzen von ΣUh  zu 24V bis 26V sind – wie oben beschrieben - durch Widerstände auszugleichen, was die Röhrenheizungen schont. Eine Heizungs-Anlauf-Schaltung mittels zeitverzögertem Relais wäre diesbezüglich sogar noch besser. Selbst einen Stielbruch bräuchte man da nicht begehen, wenn man passende Selengleichrichter dazu bekommen kann (z.B bei Oppermann).
 
Im Rahmen der Schutzkleinspannung wären auch Systeme mit Netztrafos mit einer Sekundärspannung von 42V~ bis 48V~ denkbar. Dann ließen sich auch größere Röhren – wie die PL500/504/509/519 sowie die PL36/38/300 sowie einige Röhren der U-Serie (z.B.: UCC85; UCL81; UCL83; UY85 usw.) in dieses 40V-System einfügen
 
 
Hinweise und Literatur:
(1)  Raschkowitsch, Alexander: Elektrische Bauelemente der Nachrichtentechnik; Vieweg; 1970; Kapitel 2.1. Emission der Kathode und  Anodenstrom
(2)  Rogers-Electronic-Tube-Datenblatt 6ES6/EF97 für Ua=25V bzw. Ua=6,3V/Ug2=1,6V
(3)  Und wenn die Kapazität Ca-g bzw.  Cg2-g1 größer bzw. Ckg1 kleiner wird, hat das Schirmgitter bzw. die Trioden-Anode eine wirksamere Angriffsfläche auf das Steuergitter, und somit einen größeren „Durchgriff“.
(4)  Bereits als Jugendlicher bastelte und reparierte ich mit 14 Jahren (8-Klassenschüler) schon im Hochvoltbereich; und lebe immer noch. Es ist auch – soweit mir bekannt ist - in meinem Umkreis keiner meiner Mitschüler; -lehrlinge bzw. spätere Kollegen durch Spannungen bis 400V direkt oder indirekt weder erkrankt noch gestorben. Andererseits: Wer also mit Elektrizität umgeht, sollte immer die nötige Vorsicht walten lassen. Denn auch 12V-Akkumulatoren sind nicht ganz ungefährlich.
(5)  http://www.jogis-roehrenbude.de/Regenerierer.htm - http://dl6lim.darc.de/tube_reg.html  - http://www.dampfradioforum.de/viewtopic.php?f=34&t=12271
(6)  Siehe Zusammenhang von Ia und S im Datenblatt von RFT-WF von der E/UF80 (dort in der  Ia=f(ug1) versteckt) Adresse: http://www.shinjo.info/frank/sheets/084/e/EF80.pdf. Noch klarer ist das in den Tabellen jener Röhren zu erkennen, welche für verschiedene Betriebsspannungsbereiche entwickelt wurden – z.B. DL94, DL98, EF98.
(7)  Hg: Akademischer Verein Hütte e.V. in Berlin: Hütte des Ingenieurs Taschenbuch; Wilhelm Ernst & Sohn; München 1962 – S.427ff
(8)  Schröder, Heinrich: Elektrische Nachrichtentechnik; Radio-Foto-Kino; Berlin Borsigwalde; Band 2
(9)  Kainka, Burkhard: Röhren-Projekte von 6 bis 60V; elektor; Aachen; 2016;
(10) Anodenspannung Null  - http://www.b-kainka.de/bastel87.htm   Nachtrag: Null-Volt-Audion mit der EF184

 


Niedervoltröhren am Kennlinienschreiber von Roger Leifert
 
Unser E-Technik Praktikant hat meinen Röhren-Kennlinienschreiber uTracer aktiviert und die zunächst nach Anlauf-Strom sortierten 6J1 untersucht.
 http://www.dos4ever.com/uTracer3/uTracer3_pag0.html#
 
Ergebnis:
Steilheit und maximaler Anodenstrom bei 0V-Gitterspannung korrespondieren tatsächlich mit der Höhe des Anlaufstroms. Wobei wir die Röhren fast mit dem Kennlinienschreiber schneller sortiert haben als mit der Anlaufstrommessung.

Video: Tube Selection – The „Starting-Current“-Method: https://youtu.be/XEvD8OEBGXQ
 
Die beiliegenden Bilder geben im Namen die Höhe des Anlaufstroms wieder. Die Grafik zeigt den Anodenstrom in Abhängigkeit von der Gitterspannung einmal für 12V und einmal für 48V. Die gestrichelten Kurven sind die Steilheit (Skala = rechte Y-Achse).  2 Röhren, die heute als Reklamation zurückkamen, waren tatsächlich “taub”.



6j1-018uA


6j1-034uA


6j1-053uA


6j1-074uA


6j1-110uA


6j1-138uA


6j1-274uA


6j1-500uA


Kommentar von Uwe Faulenbach:

In den Grafiken sind die Produktions-Fertigungs-Toleranzen sehr deutlich sichtbar - insbesondere die Toleranzen bei der Aktivierung der Bariumbeschichtung der Kathode.

Und was hier auch deutlich wird, ist der von mir beschriebene Zusammenhang, dass bei hohen Anodenspannungen der Anlaufstrom vergleichsweise wenig Einfluss auf den Verlauf der Kennlinie der Steilheit hat. Daher vermute ich nicht grundlos solches schon bei Spannungen über 20V - und das zeigt sich bereits sehr deutlich in Ihren Kennlinien von Ua=48V.

Dieser von mir beschriebe Zusammenhang wird sicherlich bei Vergleichens-Messungen von Ua=12V und noch höheren Anodenspannungen (Werte gemäß Röhren-Datenblatt) wohl noch deutlicher werden. Anders dürfte es aussehen, wenn die Barium-Reserven bei alten Röhren bereits erschöpft sind.

Das ist auch der Grund, warum die alten Röhrenprüfgeräte für die Auswahl von Röhren für Anwendungen im Kleinstspannungs-Bereich wenig sinnvoll sind. Eine Anlaufstrommessung ist daher eine einfache, sichere und schnelle Methode zum Aussortieren.

Was mich aber stutzig macht, das ist der Anstieg von dIa/dV im Abschnitt von -1,5V bis zu -2V in den Kennlinen bei Ua=12V. Das scheint mir unlogisch zu sein, weil dieses Verhalten in der Kennlinie bei Ua=48V nicht vorkommt.

Kommentar Burkhard Kainka

Der Anstieg der gestrichelten schwarzen Linie (Steilheit bei Ua = 12 V) am linken Rand hat mich auch gewundert. Aber jetzt ist es mir aufgefallen: Da ist ja der Anodenstrom bereits Null, sodass es auch keine Steilheit mehr geben kann. Allerdings macht sich der kleinste Offsetfehler dann bereits stark bemerkbar, was dann rein rechnerisch zu einer höheren Steilheit führen kann. Man muss sich also die Steilheit am linken Rand als Null denken.



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