Märklin ELEX 503: Experimentierkasten der Oberklasse von 1932


Elektro-Experimentierkästen im Wandel der Zeit (1)

von Klaus Leder
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Experimentierkästen  haben seit über hundert Jahren Tradition in Deutschland. Ihre materielle Ausstattung und die Versuchsanleitungen spiegeln die technischen Entwicklungen und die gesellschaftlichen Bedingungen ihrer Entstehungszeit wider. Im wilhelminischen Zeitalter waren Modelldampfmaschinen ein kostbares Spielzeug vornehmlich für Knaben der höheren Bildungsschichten. Mit dem Aufkommen der Stahlskelettbauweise wurden Metallbaukästen geschaffen, mit denen die „jungen Ingenieure“ Brücken und Kräne en miniature bauen konnten. Es folgten die ersten Elektro-Baukästen. Zur Radiotechnik und später zur Elektronik wurden von verschiedenen Herstellern eine Vielzahl von Experimentierkästen herausgebracht (s. Alte Experimentierkästen in neuer Funktion).  

Elektro-Baukästen sind nach wie vor gefragte Geschenke für Jungen und Mädchen im Alter zwischen 8 und 12 Jahren. In der Zeit der Reformpädagogik und der Arbeitsschulbewegung wurden sie von dem Schweizer Sekundarlehrer Wilhelm Fröhlich und dem Stuttgarter Franckh-Verlag zunächst  für den Schulunterricht entwickelt. Das Arbeitsmaterial wurde damals in Holzkästen mit Schiebedeckel ausgeliefert. W. Fröhlich arbeitete von 1920 bis in die 60er Jahre als Autor und Entwickler für den Franckh-Kosmos Verlag. Er ist der Vater der Lehrspielzeugkästen „Elektromann“, „Optikus“, „All-Chemist“, „Radiomann“, „Technikus“ und „Mikromann“, deren Materialien übersichtlich in einer Kartonschachtel untergebracht waren. Ab 1930 wurden diese kleineren Versionen der Schulkästen für das private Experimentieren der Schülerinnen und Schüler herausgegeben. Die didaktisch sehr gut geschriebenen Anleitungen waren mit vielen Strichzeichnungen versehen und führten die jungen Forscher und Forscherinnen von Experiment zu Experiment.

Auch andere Firmen wie Siemens, Philips oder Märklin entwickelten Elektro-Experimentierkästen. Diese Lehrspielzeuge bieten Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, sich außerhalb der Schule mit physikalischen Phänomenen wie Elektrizität und Magnetismus zu beschäftigen. Mit ihrem eigenen Labor konnten sie nun Versuche durchführen, die sie sonst nur verkürzt im Physikunterricht oder gar nicht kennengelernt hätten. Nicht wenige Techniker, Ingenieure und Naturwissenschaftler haben die ersten Impulse für ihren späteren Beruf durch einen Experimentierkasten erhalten.





Der 1932 von der Fa. Märklin europaweit angebotene „Märklin-ELEX 503“ war „die große Ausrüstung für über 150 Versuche für den aufgeweckten Jungen“. Die Kästen und die Vorder- und Rückseite des Anleitungsbuches wurden  mit signierten Bildern von Kunstmalern bedruckt. Man sieht zwei Jungen in damaliger Mode, die Modelle von Telegraph, Signalanlage, Weicheiseninstrument, Elektromotor und Klingel aufgebaut haben. Die Rückseite wirbt für Modell-Eisenbahnen und zeigt einen Bahnsteig mit futuristisch wirkenden Dampf- und  Diesellokomotiven.





Die hochwertige Ausstattung des Experimentierkastens ist an die Märklin-Metallbaukästen angelehnt und enthält u.a. zwei Fernsprecher, einen Motoranker, vernickelte Messingplatten, gedrehte Messingschrauben und zahlreiche Spezialteile.

Insgesamt enthält der Kasten 245 Teile, mit denen über 150 Versuche durchgeführt werden können.
Das dreiseitige Versuchsprogramm ist fachsystematisch aufgebaut und liest sich wie das Inhaltsverzeichnis eines ausführlichen Physikbuchs für die Sekundarstufe I. Höhepunkte sind der Bau von Elektromotoren und Fernsprechanlagen sowie einer Messbrücke.

Im Folgenden werden einige bemerkenswerte Versuche aus der Versuchsanleitung gezeigt, die in dieser Form in anderen Experimentierkästen nicht mehr vorgekommen sind.








Die Versuche „Elektrischer Schweißapparat“ und „Lichtbogen“ sollten mit einem kurzschlusssstabilen Trafo mit einer Leistung von 10 VA oder einem Akkumulator durchgeführt werden. Nach den heutigen Sicherheitsstandards wären solche Versuche für einen Experimentierkasten nicht mehr möglich.





Das Experiment „Drehzahlregelung“ zeigt exemplarisch den Stand der Steuer- und Regeltechnik im elektrischen Bahnverkehr der damaligen Zeit.

Ein halbes Jahrhundert später wird das Thema „Maschinensteuerungen“ im Experimentierkasten „Physik B“ der Fa. Schuco wieder aufgegriffen. Drehzahlregelung, Rechts-Links-Lauf und  Ausschalt-Verzögerungen eines Elektromotors werden im Zeitalter der Halbleitertechnik mit einem IC-Steuermodul untersucht.





Dem Versuch „Messbrücke für Gleichstrom“ wird eine ausführliche mathematische Herleitung der Berechnungsformel  beigefügt -  eine Tugend, die Kosmos mit dem „Elektronik-Labor E 200“ erst 1979 wieder aufnahm.





Die Themen „Wirbelstrombremse“ und „Morse-Telegraph“ haben sich bis heute in den Physikbüchern der Sekundarstufe I erhalten.

Heute ist ein Handversuch zur Wirbelstrombremse leicht durchzuführen: Ein Neodym-Magnet wird in eine  Aluminiumröhre fallen gelassen. Das staunende Publikum zählt die Sekunden bis zum Austritt des Magneten aus der (unmagnetischen) Alu-Röhre.




Der Bau von Fernsprechanlagen stellt den Höhepunkt des Versuchsprogramms dar und wird im Anleitungsbuch auf 15 Seiten mit mehreren Versuchen  erklärt. In den 30er Jahren hatte das Telefon als technische Errungenschaft einen hohen Stellenwert, vergleichbar mit dem der heutigen Smartphones.








Fazit

Der Märklin Elex 503 von 1932 war ein Experimentierkasten der Oberklasse mit hochwertiger Materialausstattung, der in leicht veränderter Form bis 1962 angeboten wurde. Das 144seitige Anleitungsbuch zeichnete sich durch zahlreiche physikalische Experimente und Informationen und klare fotografische  Abbildungen aus. Allerdings sind die Versuchsaufbauten auf metallischen Lochplatten mit Schraubverbindungen und Isolierscheiben zeitaufwendig und erfordern etwas manuelles Geschick.

Die Texte des Anleitungsbuchs sind Instruktionen, die sich an „wissbegierige Jungen“ bis zu einem Alter von etwa 15 Jahren des Bildungsbürgertums wenden. Das fachsystematisch orientierte Versuchsprogramm ist verständlich formuliert  und kommt ohne die heute üblichen Ablenkungen wie eingestreute Comic-Figuren oder Abenteuergeschichten aus. Ob diese schulmäßig-strenge didaktische Ausrichtung in der heutigen Zeit Motivation und Zuspruch bei der jugendlichen Zielgruppe erhalten würde, muss angezweifelt werden.

Heute werden  Elektro-Experimentierkästen hauptsächlich mit „snap curcuits“ angeboten. Es handelt sich um in Kunststoff eingebettete Bausteine mit Druckknöpfen, die auf einer gelochten Aufbauplatte sehr schnell  miteinander verbunden werden können. Ob die bunten Kunststoffmodule dem Technikverständnis der Altersgruppe wirklich dienlich sind, ist fraglich. Gleichzeitig erleben Metallbaukästen eine Renaissance. Jungen und Mädchen wollen wieder etwas mit Schrauben und Metallteilen konstruieren - wie damals ihre Großväter.


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