Radiobau ohne Löten        

von Klaus Leder                      
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Von Hochschullehrern und Berufsausbildern wird zunehmend darüber geklagt, dass heute die Studierenden und Auszubildenden zu wenig praktische Erfahrung und manuelles Geschick für abzuleistende Praktika mitbrächten. Neben gesellschaftlichen Veränderungen ist dies auch dadurch bedingt, dass in unserer globalisierten und digitalisierten Welt Informationen jederzeit im Internet verfügbar sind und technische Produkte so preiswert geworden sind, dass eine Reparatur oder ein Selbstbau meist nicht mehr lohnen.
 
Auf der anderen Seite wird von Lerntheoretikern auf die Unterschiede von Information und Wissen hingewiesen, das nicht durch „Copy and Paste“ erlangt werden kann sondern vom Individuum selbst in einem aktiven Akt erworben werden muss. Neurophysiologen wie Manfred Spitzer haben durch zahlreiche Untersuchungen und Studien die Bedeutung des manuellen Tuns für die Intelligenzentwicklung von Kindern und Jugendlichen nachgewiesen. Der Mediziner Spitzer spricht in einem seiner Bücher von einer drohenden „digitalen Demenz“.
 
Kindergärten und Schulen reagieren erst langsam auf diese Erkenntnisse. Sie werden stattdessen mit Computern und Smart-Boards ausgestattet, was sicherlich Vorteile im Unterrichtsalltag und bei der Visualisierung komplexer Zusammenhänge bringen mag, aber das Arbeiten mit den Händen nicht verdrängen darf.
 
In diesem Beitrag wird ein Vorschlag zum Selbstbau eines Radios gemacht, der manuelles Arbeiten und technisches Verständnis fördert und sich an Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufen I und II richtet. Ideal wäre es, wenn das Radioprojekt in den Physik- oder Technikunterricht integriert werden könnte, sodass die Themen Nachrichtenübertragung, Ausbreitung der elektromagnetischen Wellen, Schwingkreis und Niederfrequenzverstärkung mit der Fertigung und Erprobung eines eigenen Produkts kennengelernt werden. Auch bietet sich das Vorhaben für Facharbeiten, Arbeitsgemeinschaften und den an vielen Schulen eingeführten Ganztagsunterricht an.
 
Die Fa. Conrad bietet seit längerem einen sehr preisgünstigen Bausatz für ein Mittelwellenradio mit Gehäuse und Aufbauanleitung für 7,99 € an. Es handelt sich um den bewährten Geradeausempfänger mit dem IC TA7642  und einer Transistorverstärkerstufe. Die Kosten für ein Mini-Steckbrett, ein paar Lüsterklemmen und eine Mignonbatterie, die günstig im Internet erworben werden können, kommen noch hinzu, sodass die Auslagen für die Schülerinnen und Schüler oder auch für den Förderverein der Schule tragbar sind.
 
Wenn das Experimentiermaterial den Schülerinnen und Schülern selbst gehört, ist damit eine ganz andere Identifikation mit der Sache möglich als wenn im Frontalunterricht ein Tischexperiment oder gar ein Video vorgeführt wird.
 
Obwohl die Mittelwellensender in Deutschland Ende 2015 abgeschaltet worden sind, lohnt das Experimentieren, da abends zahlreiche MW-Sender aus Europa zu empfangen sind. Anstelle des etwas leisen Lautsprechers können die Schülerinnen und Schüler die Ohrhörer ihrer Handys anschließen oder die Aktivboxen ihres Computers zur NF-Verstärkung nutzen. Mit Klingeldraht aus dem Baumarkt können sie eine zusätzliche Antenne im Zimmer aufspannen und gewinnen so physikalisch-technische Erkenntnisse durch eigenes Tun.
 
Da das Löten auf der beigegebenen kleinen Platine Löterfahrungen voraussetzt und die wenigsten Schulen über Lötstationen verfügen, wurde nach Alternativen für den Schuleinsatz dieses Radiobausatzes gesucht. Es wurden deshalb Verbindungstechniken mit Klemmfedern, Lüsterklemmen und Steckboards erprobt, für die nur ein kleiner Schraubenzieher gebraucht wird. Da einige Schulen schon über Steckbretter, Lüsterklemmen oder Lochplatten verfügen, werden verschiedene Aufbaumöglichkeiten vorgestellt.
 
Die Verbindungen zum Drehkondensator, zum Potentiometer, zum Messinstrument und zur Ferritantenne werden durch kleine 2,7 mm Lüsterklemmeneinsätze (z. B. Fa. Traudl Riess) ermöglicht. Allerdings müssen die kleinen Messingeinsätze vorher aus der Lüsterklemmleiste durch Aufschneiden oder Heraussägen mit einer kleinen Metallsäge befreit werden. Die beiden Lötösen des Schalters am Poti müssen mit einer Zange etwas zusammengedrückt werden, damit sie in die Lüsterklemmenöffnung passen. Die dünnen, verzinnten Anschlussdrähte der Ferritantenne sollten zusammen mit einem kurzen Stück Schaltdraht vorsichtig festgeschraubt werden. Es bleiben dann noch die beiden Verbindungen zum Lautsprecher, die gelötet werden müssen. Parallel dazu kann eine Klinkensteckerbuchse für die Ohrhörer angelötet werden.
 
Im Folgenden werden für 6 unterschiedliche Aufbaumöglichkeiten jeweils Hinweise gegeben und die Vor- und Nachteile der Verbindungstechniken angesprochen. Für die Montage sollte neben dem Schaltbild ein Aufbaubild mit der Lage der Bauteile und der Drahtverbindungen für die Schülerinnen und Schüler kopiert werden.


 
1. Aufbau mit Lochplatte und Klemmfedern der Fa. ´Winkler Schulbedarf´ im großen Gehäuse

Hierfür ist das größere Gehäuse der 1. Retro-Radio-Generation mit dem Messinstrument oder ein Gehäuse-Eigenbau erforderlich. Die dünnen, verzinnten Anschlussdrähte der Ferritantenne sollten zusammen mit einem kurzen Stück Schaltdraht vorsichtig eingeklemmt werden. Die Lochplatte kann seitlich mit Klettband im Gehäuse befestigt werden.
 
Vorteile: Durch die Aufbautechnik mit Lochplatte und Klemmfedern ist eine maximale Schaltplantreue gegeben. Es ergibt sich ein relativ leichter Aufbau.
Nachteile: Die Bausätze mit dem großen Gehäuse sind inzwischen nur noch vereinzelt im Internet zu bekommen. Es müssen die preisgünstige Lochplatte und die Klemmfedern der Fa. Winkler hinzugekauft werden. Da die Klemmfedern etwas schwer in die Löcher der Lochplatte zu drücken oder herauszuziehen sind, sollten die unteren Bögen der Haarnadelfeder vorher mit der Flachzange etwas zusammengebogen werden. Anstelle des mitgelieferten Schaltdrahtes ist Kupferlitze erforderlich.
 

 
2. Aufbau auf Steckbrett (270 Kontakte) im großen Gehäuse

Vorteile: Die Steckplatine ermöglicht einen schnellen Aufbau mit relativ wenigen Kabelverbindungen.
Nachteile: Es muss ein Steckbrett mit 270 Kontakten (Internet, Fa. Modul-Bus) hinzugekauft werden. Da die Anschlussdräte der Widerstände und Kondensatoren dünn sind, empfiehlt sich die Nutzung einer Pinzette. Die Anschlussdrähte der Batterielitze und der Spulenlitze sollten an ein kurzes Stück Schaltdraht gelötet werden, damit sie sich besser stecken lassen.
 

 

3. Aufbau mit Lüsterklemmleiste im kleinen Gehäuse

Vorteile: Die Bausätze mit kleinem Gehäuse sind bei Conrad für 7,99 € erhältlich. Auch die Lüsterklemmleiste mit 2,7 mm Messingeinsätzen ist z. B. bei der Fa. Traudl Riess preisgünstig zu kaufen und kann mit 2 kurzen Schrauben an der Papphalterung des Lautsprechers befestigt werden.
Nachteile: Die Befestigung der dünnen Anschlussdrähte in der Lüsterklemmleiste ist nicht leicht und erfordert jedesmal eine Überprüfung auf Kontakt und festen Sitz. Die dünnen, verzinnten Anschlussdrähte der Ferritantenne sollten zusammen mit einem kurzen Stück Schaltdraht vorsichtig festgeschraubt werden. Die Schrauben dürfen nicht zu locker, aber auch nicht zu fest angezogen werden, da sonst die Anschlussdrähte brechen können.


 
4. Aufbau mit Steckbrett (270 Kontakte) im kleinen Gehäuse

Vorteile: Es ergibt sich ein relativ einfacher Aufbau auf der Steckplatine.
Nachteile: Die starren und langen Schaltdrahtverbindungen müssen mit Heißkleber fixiert werden, da sie beim Auf- und Zuklappen des Gehäuses zu stark bewegt werden.


 
 

 
5. Aufbau mit verlegtem Lautsprecher und Steckbrett (270 Kontakte) im kleinen Gehäuse

Vorteile: Die Schaltdrahtverbindungen bleiben kurz und übersichtlich. Dieser Aufbau ist wesentlich stabiler als der 4. Aufbau.
Nachteile: Die Papphalterung des Lautsprechers muss mit einem Messer entfernt werden. In den Gehäusedeckel müssen neue Löcher für den verlegten Lautsprecher gebohrt werden.
 
 
 

 
6. Aufbau auf Mini-Steckbrett (170 Kontakte) im kleinen Gehäuse

Vorteile: Anstelle des Steckbretts mit 270 Kontakten muss ein preisgünstiges Mini-Steckbrett mit 170 Kontakten (Internet, Fa. Modul-Bus) hinzugekauft werden. Mit einem Mini-Steckbrett entfällt die Verlegung des Lautsprechers.
 
Fazit:
Bei anderen, einfacheren Schaltungen haben Aufbautechniken mit Lochplatte und Klemmfedern, mit Lüsterklemmen oder mit Steckplatinen für Schülerinnen und Schüler jeweils ihre spezifischen Vorteile. Bei dem MW-Radio-Bausatz ist jedoch der 6. Aufbau mit dem Mini-Steckbrett von den Lernenden am einfachsten zu realisieren.
 
Die Schülerinnen und Schüler müssen im Voraus darüber informiert werden, dass Mittelwellenempfang nur abends und nachts möglich ist und nur noch ausländische Sender zu empfangen sind. Es empfiehlt sich der Anschluss von Ohrhörern anstelle des leisen Lautsprechers. Auch sollten Versuche mit verschiedenen Antennen am noch freien Anschluss des Drehkondensators durchgeführt werden. Darüberhinaus bietet sich die Verstärkung mit Aktivboxen an.
 
Natürlich sind die MW-Empfangsergebnisse aufgrund der Abschaltung der deutschen Mittelwellensender bescheiden. Doch dieser Umstand kann durchaus den Forschergeist und die Wellenjagd auf weit entfernte Sender anstacheln. Durch dieses Projekt werden manuelles Geschick, Geduld, Ausdauer, Eigenständigkeit und Disziplin  der Schülerinnen und Schüler gefördert. Durch das selbst gebaute Radio steigt das Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten und sie bekommen eine bessere Vorstellung davon, wie Funktechnik und Elektronik funktionieren.

 


 



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