Magischer Fächer 6E1 und Magisches Band 6E2 im Retroradio               

   

von Klaus Leder
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Abb. 1: Anzeigeröhre 6E1 und UKW-Empfänger im Retroradiogehäuse von Conrad

„Magische Augen“ sind ein typisches Merkmal der Röhrenradios der 1950er und 1960er Jahre. Sich bewegende, grün strahlende Kreissegmente, ein sich öffnender, grüner Fächer oder ein flackerndes, blaugrünes Band dienten zur Abstimmung auf eine Sendefrequenz oder zur Aussteuerung von Tonbandgeräten. Neben der Zeitung war damals das Röhrenradio mit der in warmen Licht leuchtenden, großen Senderskala und dem Magischen Auge das wichtigste Medium, um das sich abends die Familie wie um ein Lagerfeuer versammelte, um Nachrichten von nah und fern zu hören. Mitte der 1950er Jahre übernahm der Fernseher diese Funktion, zunächst mit schwarz-weißen Bildern, seit 1967 mit Farbbildschirm. Mit der Entwicklung der Transistorradios und -verstärker in den 1960er Jahren verschwanden die Heiz- und hohe Anodenspannungen erfordernden Vakuumröhren und mit ihnen die grün leuchtenden „Magischen Augen“. Drehspulinstrumente übernahmen die Anzeige der Empfangsfeldstärke und der Aussteuerung von Verstärkern. Später erfüllten Balkenanzeigen mit Leuchtdioden diese Aufgaben. Im Zeitalter des Smartphones und der DSP-Radios erwecken Design und Bedienungsweise eines Retroradios wieder das Interesse vieler Menschen. Alte Gehäuseformen, Wellenbereichsgraphiken, Tastenschalter und Drehknöpfe lassen Erinnerungen an die technischen Wurzeln des Radios und den damaligen warmen Charme der analogen Elektronik wachwerden und beflügeln die Designer. Vielleicht ist diese Rückbesinnung eine Reaktion auf die kalte, undurchschaubare Technik der Mikroelektronik und Digitalisierung, deren rasante Entwicklung bei vielen Menschen Irritation und Zukunftsängste auslösen. In Restaurants und Wohnzimmerecken werden neuerdings fahle Halogen- und Energiesparlampen durch Birnen im „Edison-Style“ ersetzt, deren Optik warmes Licht und Behaglichkeit vermitteln. Das Licht in den Glaskolben wird heute jedoch nicht mehr von glühenden Kohlefäden, sondern von LED-Filamenten erzeugt. 

Der Retro-Stil hat inzwischen auch andere innovative Entwickler und findige Verkäufer auf den Plan gerufen. Im Internet findet man Angebote osteuropäischer Händler, die „Magische Augen“ verkaufen, wobei es sich zumeist um alte russische Anzeigeröhren wie die 6E1 und die 6E2 handelt. Die 6E1 ist ein russischer Nachbau der westeuropäischen EM 80 (Magischer Fächer), die 6E2 entspricht der EM 87 (Magisches Band). In Osteuropa wurden diese Anzeigeröhren längere Zeit hergestellt und in Geräte eingebaut, denn die Halbleitertechnik ist in den USA erfunden und entwickelt worden. Der verspäteten Nutzung der Halbleiter in den Ländern des Ostblocks ist es zu verdanken, dass heute noch ein Bestand dieser historischen Röhren vorhanden ist. Hochwertige Röhrenverstärker aus China werden inzwischen wieder mit Magischen Augen als Blickfang ausgestattet.



Abb. 2: Anzeigeröhren EM80, 6E1, EM87 und 6E2

Die ersten Abstimmhilfen in den 1930er Jahren besaßen an der Oberseite der Elektronenröhre einen kegelförmigen, metallischen Schirm mit einer fluoreszierenden Schicht aus Zinkorthosilikat.  Durch auftreffende Elektronen wird der Leuchtschirm zur Aussendung eines grünen Lichts angeregt. Da der Kopf der Röhre wie ein leuchtendes Auge aussah, wurde die Anzeige „Magisches Auge“ genannt. In den 1950er Jahren wurden kleinere Anzeigeröhren entwickelt, bei denen der Leuchtschirm auf die Seite der Röhren verlagert und so vergrößert wurde.

Beim „Magischen Fächer“ (z. B. EM80 und 6E1) hatte der Leuchtschirm eine muschelförmige Form. Bei dem später gebauten „Magischen Band“ (z. B. EM87 und 6E2) wurde die fluoreszierende Schicht direkt auf der Innenseite des Glaskolbens aufgebracht. Wie die Datenblätter der EM 80 (Abb. 3) und der EM87 (Abb. 4) zeigen, handelt es sich um Doppelröhren, bei denen neben dem Anzeigesystem noch eine Triode zur Verstärkung der Steuerspannung im Glaskolben eingebaut ist. Geheizt werden die Röhren mit 6,3 Volt DC/AC bei einem Heizstrom von 0,3 Ampere (f,f).  Zwischen der gemeinsamen Kathode (k) und der Anode (a) und dem Leuchtschirm (l) liegt eine Betriebsspannung von 250 VDC an. Die negative Steuerspannung, die je nach Röhrentyp zwischen -1 bis -15 Volt liegt, wird an das Gitter (g) gelegt. Das Anzeigegitter (gl) ist intern mit der Kathode verbunden. Steuerstege (D) formen den von der Kathode ausgesandten Elektronenstrom zu Bündeln oder werfen einen Schatten auf den Leuchtschirm. Die Leuchtflächen wachsen mit steigender Steuerspannung, die früher von der Regelspannung für den Schwundausgleich (ALC) geliefert wurde. Bei diesem Projekt wird die NF-Spannung des Verstärkerausgangs als Steuerspannung genutzt. Die Steuerelektroden sind bei der EM80 mit der Anode verbunden, bei der EM87 sind sie an Pin 7 angeschlossen. 



Abb. 3: Datenblatt von Philips für die Anzeigeröhre EM 80 (6E1)

In den Datenblättern werden die Pinbelegungen von Röhren nicht wie bei ICs von oben gesehen, sondern von der Unterseite dargestellt. Damals konnte beim Einbau in ein Chassis sofort die Lage der Pins auf dem Sockel erkannt werden. Die Anzeigeröhren haben 9 Pins für einen Novalsockel.



Abb. 4: Datenblatt für die EM 87 (6E2)

Für Bastler fehlten bislang Module für die Spannungsversorgung der Anzeigeröhren. Aufgrund der lebensgefährlich hohen Anodenspannung ist eine Nutzung der Platinen und Anzeigeröhren nur für fachkundige Erwachsene geeignet. Die Röhren werden sehr heiß und können eine Temperatur bis 120°C erreichen. Chinesische Händler bieten im Internet eine preisgünstige Platine mit einer 6E2 an, die laut Datenblatt eine Betriebsspannung von 250 VDC und eine Heizspannung von 6,3 Volt erfordert (Abb. 5 und 6). Ein Trafo mit einem Gleichrichter ist jedoch oft zu groß und zu schwer für einen nachträglichen Einbau des nostalgischen Magischen Bandes in einen Verstärker oder in ein Radio.



Abb. 5: Chinesische Platine mit der 6E2 und Anschlüssen für 250 VDC Betriebsspannung und 6,3 Volt Heizspannung



Abb. 6: Chinesische Platine zur Spannungsversorgung der 6E2 von unten gesehen

Zu diesen alten Anzeigeröhren haben chinesische Ingenieure neuerdings mit Halbleitern bestückte Platinen entwickelt, die die erforderliche hohe Anodenspannung und die Heizspannung aus der Spannung eines 6-Volt- bzw. eines 12-Volt-Steckernetzteils bereitstellen.



Abb. 7: Platine im Acrylgehäuse mit der 6E2

Eine durch Acrylplatten geschützte Platine mit der 6E2 zeigt Abb. 7. Auf der Platine sind eine Steckverbinder-Buchse für ein 6 VDC Netzteil, ein Druckschalter sowie ein Poti für die Regelung der Steuerspannung aufgelötet. Die Anodenspannung von ca.132 VDC wird mithilfe von Kaskaden von Dioden und Kondensatoren zur Spannungsvervielfachung erzeugt. Platinen für den Anschluss unterschiedlicher Anzeigeröhren zeigen die Abb. 8, 9 und 10. Sie sind mit einem Druckschalter, einer Steckverbinder-Buchse für das Netzteil (9-15 VDC), einer Klinkenbuchse für die Signalspannung sowie Lötaugen für ein Elektretmikrofon versehen. Ein Poti zur Regelung der Signalspannung ist aufgelötet. Nach Messungen des Verfassers liefert die Platine eine Anodenspannung von ca. 195 VDC.



Bild 8: Platine für den Anschluss verschiedener Anzeigeröhren

Die Lötaugen im Innenkreises sind für den Anschluss des Sockels einer 6E2 (EM87, Magisches Band) vorgesehen. Es können ferner die Anzeigeröhren EM84, EM800, PM84, UM87, UM84, 6E3P angeschlossen werden. Die Zahl 1 markiert den Pin 1. Entgegen dem Uhrzeigersinn werden die 9 Pins gezählt, wobei die Pins 2 und 8 aufgrund interner Verbindungen nicht angeschlossen werden müssen. Der mittlere Kreis der Lötstellen ist für den Anschluss der älteren Röhre 6E1 (EM 80, Magischer Fächer) bestimmt, die eine veränderte Pinbelegung aufweist. Bei der 6E1 brauchen die Pins 3, 6 und 8 nicht angeschlossen werden (Abb. 3). Der mittlere Kreis dient auch der Spannungsversorgung der folgenden Röhren: 6E1P, 6BR5, EM81, UM80, UM81, 6DA5 und 19BRS. Der äußere Kreis der Lötaugen ist für die Röhren 6E5C und 6E5S vorgesehen. Leider werden zu den Platinen keine weiteren Informationen herausgegeben. 



Abb. 9: Platine mit Elektretmikrofon und drei Potis für verschiedene Anzeigeröhren

Die Platine der Abb. 9 zeigt eine leicht veränderte Schaltung, da sie drei Potis zur Regelung der Anodenspannung, zur Regelung der Eingangsempfindlichkeit und zur Einstellung der Heizspannung besitzt.



Abb. 10: Rückseite der Platine für verschiedene Anzeigeröhren

Beim Einlöten der Verlängerungsdrähte des Röhrensockels auf der Rückseite der Platine ist die Reihenfolge der Pins natürlich im Uhrzeigersinn zu zählen (Bild 10). Da der Franzis-Verlag einen Bausatz für ein Röhren-Retro-Radio für Kurzwelle anbietet, wurde das mitgelieferte praktische und attraktive Gehäuse dazu genutzt, die Anzeigeröhren 6E1 und 6E2 einzubauen und zu erproben.  Anstelle des Kurzwellenbausatzes wurde jedoch der UKW-Radio Bausatz von Franzis verwendet (Abb. 11). Das Steckbrett mit dem Empfangsmodul TDA7088 und dem NF-Verstärkungschip LM386 wird zwischen Lautsprecher und Röhre in das Gehäuse geklebt. Zuvor muss die Kartonhalterung des Lautsprechers etwas gekürzt werden (Abb. 14).



Abb. 11: Bauteile für ein Radio im Franzis-Retroradio-Gehäuse mit UKW-Radio-Modul TDA7088, NF-Verstärker LM386 und Anzeigeröhre 6E1

Das Radio arbeitet mit Halbleitern (Abb. 12), lediglich das Gehäuse-Design und der Magische Fächer mit der 6E1-Röhre vermitteln den nostalgischen Eindruck eines alten Empfängers aus der Röhrenepoche (Abb. 1).


Abb. 12: Schaltplan von B. Kainka für das Franzis UKW-Radio

Nach dem Löten der Verlängerungsdrähte für den Röhrensockel und der Anschlussleitungen zur 3,5mm-Klinkenbuchse des Steckernetzteils muss noch die Line-In-Verbindung zum Steckboard hergestellt werden. Die Lötfahnen des Röhrensockels müssen aus Platzgründen zur Seite gebogen werden.



Abb. 13: Steckernetzteil mit fertig verdrahteter Platine und Röhre 6E1 vor dem Einbau in das Retro-Radio

Aufgrund der Länge der Anzeigeröhre wird diese vor dem Einbau des Potis in die Kartonlasche geschoben. Das Potigehäuse muss mit einem kleinen Stück Isolierband vor einem Kurzschluss der umgebogenen Lötfahnen des Röhrensockels geschützt werden. Nach einer Funktionsprüfung kann die Platine z. B. mit Heißkleber auf dem Gehäuseboden festgeklebt werden (Abb. 14).



Abb. 14: UKW-Retroradio mit Magischem Band 6E2 und eingebauter Versorgungsplatine 

Mit einer antiken russischen Anzeigeröhre, einer chinesischen Platine mit Halbleitern und zwei Bausätzen vom Franzis-Verlag lässt sich ein UKW-Retro-Radio bauen, das als nostalgisches Attribut einen flackernden „Magischen Fächer“ (Abb. 1) oder ein „Magisches Band“ (Abb. 15) besitzt.



Abb. 15: Magisches Band der Röhre 6E2 im Retroradiogehäuse von Franzis

s.a.
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Umbau des Franzis-Röhrenradios für UKW
Das magische Auge





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