Radiobasteln – altes Hobby mit neuen
Medien
von Klaus Leder
Auf dem Dachboden stieß ich neulich auf eine Kiste mit
Kinderspielzeug des vergangenen Jahrhunderts. Zwischen Märklin-Gleisen und
Faller-Häuschen lag ein Kästchen, das damals mein Bruder „Bolli“ aus Sperrholz
ausgesägt und zu einem Gehäuse für ein Transistorradio zusammengeklebt hatte. Da
wurden Erinnerungen wach. Um 1960 konnten wir an einem See in Holland mit Hilfe
der Teleskopantenne Radio Hilversum hören.
Angefangen hatte alles mit dem „Kosmos Lehrspielzeug
Radiomann“ vom Franckh-Verlag, einem damals weit verbreiteten
Weihnachtsgeschenk. Aus einem Heft der Reihe „Radio-Praktiker-Bücherei“ des
Franzis Verlags stammte der Schaltplan für ein 4-Transistor-MW-Radio mit Ferrit-
und Teleskopantenne, das Lautsprecherempfang ermöglichte. Beim Öffnen des
Gehäuses staunte ich über die riesigen Lötzinnpakete auf der Pertinaxplatte.
Damalige elektrische Lötkolben waren mit einem Holzgriff
versehen, hatten große, breite Lötenden und sahen aus wie Stocheisen für Kohleöfen.
Neugierig geworden entfernte ich die Verklebungen, um die alten Bauteile zu
sehen. Die vier Germanium-Transistoren in flachen Metallgehäusen waren
wahrscheinlich noch Flächentransistoren. Folien-Drehkondensator, Übertrager und
Lautsprecher waren ebenso wie Germaniumdiode, Widerstände und Kondensatoren
relativ groß gebaut. Da einige Lötverbindungen sich gelöst hatten, konnte ein
Funktionstest nicht durchgeführt werden.
In den 1960er und 1970er Jahren wurde noch viel an Bauplänen
getüftelt und mit Laubsäge, Drillbohrer, Pertinaxplatten, Transistoren und
Lötkolben gebastelt. Mancher der Jugendlichen fand dadurch Motivation zum
Studium und zum Beruf.
Heutige Experimentierkästen enthalten meist keine
Original-Industrieteile mehr. Leitungen und Bauteile sind von buntem Plastik
verhüllt und werden schnell mit Druckknöpfen verbunden. Ein eingekapseltes
UKW-Radiomodul ist natürlich auch dabei - für den Sound.
Es ist lobenswert, dass der Franzis Verlag seiner alten Tradition treu geblieben ist und
neben modernen Baukästen mit Mikroprozessoren und digitaler Elektronik auch heute
noch Bastelangebote zum Radiobau anbietet. Dazu gehören die
Retroradio-Baukästen und die Radio-Adventskalender, die heute mit ICs
ausgerüstet sind und lehrreiche Anleitungen enthalten.
Die Radiotechnik war der Ausgangspunkt der Halbleitertechnologie
und der digitalen Revolution. Die damit einhergehende Radiobastelei ermöglicht auch
heute noch Jugendlichen einen ersten Zugang zur Elektronik. Sie fördert durch
die notwendige Handarbeit motorische Fähigkeiten und vermittelt technische Allgemeinbildung
durch in der Anleitung beschriebene kleine Experimente. Nicht nur für angehende Mechatroniker oder
Ingenieure sind die Bausätze interessant
sondern für alle, die wissen wollen, welche Bauelemente den modernen Produkten
der Informationstechnologie zu Grunde
liegen.
Lötarbeiten mit heutigen sehr komfortablen Lötkolben müssen
nicht sein. Auf Steckplatinen lassen sich kleine Schaltungen leicht
verwirklichen. Der Franzis Verlag liefert seine Retroradio-Bausätze jeweils mit
einem Gehäuse aus Pappe in nostalgischer Optik aus.
Ein Problem für Autoren und Verlage besteht in der Lieferbarkeit
von Bausteinen mit Anschlüssen, die auf die Steckboards passen. Aufgrund der modernen
SMD-Technik werden heute zumeist Bauelemente hergestellt, die extrem klein
sind. Die Firma Modul-Bus hat
deshalb das digitale UKW-IC BK1068 auf eine Platine montiert, die auf ein Steckboard
aufgesteckt werden kann. Aufbauhilfen und Ratschläge zu den Bauprojekten von B.
Kainka werden auf der Webseite des Autors gegeben.
Das Basteln von Radios mit Halbleiterdioden, Röhren und
Transistoren ist ein altes Hobby. Mit Steckplatinen, digitalen Signalprozessoren
und Beratung über das Internet findet die Radiobastelei aber auch heute immer
wieder neue Freunde.
s. a.
90 Jahre Radio-
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Gehäuse für das
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Elektro-Experimentierkästen
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Röhrenradios in Holzgehäusen und Pralinenboxen