Der Philbrick Phasenschieber und Oszillator       
Philbricks Patent            

von Peter Gerber, HB9BNI     

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Ausgelöst hat diese Betrachtung Burkhard Kainka, DK7JD mit seinem Orgelbausatz bzw seinem Sinusoszillator mit einem Transistor, der als Emitterfolger arbeitet und damit eine Spannungsverstärkung von kleiner als 1 hat. Der Oszillator sollte also nicht funktionieren, tut dies aber doch, weil das Rückkoppelungsnetzwerk die Spannung verstärkt bzw „überhöht“. Beim Lesen des Beitrags von OM Norbert Renz, OE9NRH habe ich mich an das Philbrick-Netzwerk und an den damit konstruierbaren Oszillator erinnert. Dieser Oszillator funktioniert nach dem gleichen Prinzip: der Verstärker hat eine Spannungsverstärkung von 1 oder <1, das Netzwerk verstärkt bzw „überhöht" die Spannung.

Eigentlich braucht der Verstärker eines Oszillators „nur" eine Leistungsverstärkung. Sollte die Ausgangsspannung des Verstärkers kleiner als die benötigte Eingangsspannung sein, kann man ja immer einen Transformator zwischenschalten und so die Amplitude erhöhen. Nach der ersten erfolgreichen Demonstration des Transistors als Verstärker (am 23. Dezember 1947, laut der Originalseite des Laborbuches steht zwar 24. 12. 1947, der Eintrag dürfte am Folgetag gemacht worden sein, ich hätte auch erst mal gefeiert) soll der Laborleiter Ralph Bown, damals Vizepräsident der Entwicklungsabteilung der Bell Laboratories, gefordert haben, dass damit ein Oszillator gebaut werden könne (Jon Gertner : The Idea Factory, p 97).

Da das Signal an einem der (genau gleich konstruierten) Spitzenkontakte eingespeist und am anderen Spitzenkontakt ausgeleitet wurde (heute würde man von Emitter bzw Kollektor sprechen), hatte der Verstärker an sich keine Spannungsverstärkung, aber zwei Transformatoren, nicht zuletzt für die Impedanzanpassung; das Ding muss äusserst hochohmig gewesen sein.

 

*Philbricks Patent

Es geht dabei um das Patent US 2’730'679. Eine Analyse des Patenttextes zeigt: Der Zweck der patentierten Schaltung ist es nicht, in einem Oszillator eine Spannungsüberhöhung zu erzeugen, zumindest nicht dauerhaft und nicht bei einer Sinusschwingung. Philbrick erklärt den Zweck wie folgt (die Bilder stammen aus der Patentschrift)

Wenn die Spannung einer Sprungfunktion (Heaviside-step. Oliver Heaviside wäre eine eigene Betrachtung zu gönnen. Er hat die Sprungfunktion die Anfangs des 20. Jahrhunderst meist seinen Namen trug zwar nicht erfunden, aber sehr bekannt gemacht. Es gibt nicht viel Literatur über Heaviside, aber immerhin zwei gute Biografien mit reichlich wissenschaftlichem Beiwerk: Nahin: Oliver Heaviside. The Life, Work, and Times of an Electrical Genius of the Victorian Age. Und: Mahon: The Forgotten Genius of Oliver Heaviside. A Maverick of Electrical Science. Heue ginge Heaviside problemlos als “Schwerer Asperger” durch.) wie diese

an einen gewöhnlichen RC Hochpass gelegt wird (z.B. an den Eingang eines Oszilloskopes mit AC-Koppelung, diese Dimensionierung ist in meinem KO von 1970 realisiert),

so resultiert am Ausgang des Hochpasses und damit auf dem Bild des KO’s ein Verlauf wie dieser

 

Die Ausgangsspannung steigt rasch an (abhängig vom Innenwiderstand der Spannungsquelle), dann fällt die Ausgangsspannung exponentiell ab. Die Zeit, die das Signal braucht bis es nahezu wieder 0 ist (die Formulierung des Patentanwaltes, Elektroniker würden wohl sagen "auf 1/e abgefallen ist), hängt von der Grenzfrequenz (also von der Zeitkonstante) des RC-Hochpasses ab.

Ist die Stufenspannung am Anfang von einer hochfrequenten Schwingung überlagert

so wird durch diesen exponentiellen Abfall das Signal nach dem RC-Hochpass verzerrt. Der Mittelwert der schnellen Oszillation wird nicht konstant dargestellt, sondern abfallend.

 

Das von Philbrick patentierte Netzwerk reagiert anders. Bei einer reinen Sprungfunktion wird nach Durchlauf durch das patentierte Netzwerk am Ausgang dieser Spannungsverlauf entstehen

Ist die Stufenspannung am Anfang von einer hochfrequenten Schwingung überlagert, dann entsteht dieser Verlauf der Ausgangsspannung

Der Anfang der Stufenfunktion + hochfrequenter Schwingung wird praktisch unverzerrt übertragen, erst nach einer wählbaren (durch die Dimensionierung der R's und C’s) Zeit fällt die Ausgangsspannung wieder mehr oder weniger exponentiell auf 0 zurück. Im Lichte der folgenden Diskussion könnte an sagen: Für tiefe Frequenzen findet eine Spannungsüberhöhung statt, die bei hohen Frequenzen fehlt.

Philbrick nennt seine Erfindung ein „delayed-recovery high-pass filter network". Es kann mit 2, 3, ..., n Stufen ausgeführt werden.

Hier ein dreistufiges Netzwerk, wie im Patentantrag beschrieben. Man beachte die relativ kleinen Kondensatoren und die hohen Widerstände (1 nF, 1 MOhm¨)

Philbrick gibt weiter an, dass die Länge der Zeit mit annähernd konstanter Übertragung (in zwei der obigen Abbildungen als X bezeichnet) grösser wird und die Länge des Abfalls des Signals (oben mit Y bezeichnet) kleiner wird, wenn die C's vom Eingang zum Ausgang des Netzwerkes grösser und die R’s in gleicher Richtung kleiner werden. Dabei sollten die Zeitkonstanten (also das Produkt R*C) jeder Stufe annähernd konstant bleiben.

Zur Dimensionierung eines 3-stufigen Netzwerkes schreibt Philbrick:

Ein dreistufiges Filter mit C 1,2,3 von 10nF, 20nF, 50nF und R 1,2,3 von 3.3MOhm, 1MOhm, 0.5Mohm soll eine 10 Millisekunden lange unveränderte Passage (X) des Signals und eine Rückkehrzeit (Y) von 100 Millisekunden ergeben. Dies bei einer Quellenimpedanz von 1kOhm und einer Lastimpedanz von 100 MOhm.

Das Patent wurde 1951 eingereicht und 1956 erteilt.

 

Grund und Zweck der Erfindung

In der Patentschrift wird nicht erwähnt, wieso Philbrick die Darstellung eines Spannungssprungs mit überlagerter hochfrequenter Oszillation am Oszillograf verbessern wollte. Solche Phänomene treten ja eher selten auf und wenn, dann meist als unerhebliche Begleiterscheinungen.

Ein Grund könnte eine frühere Erfindung von Philbrick gewesen sein, der „Polyphemus“. Das war ein einfacher Analogrechner, bestehend aus einem mehrstufigen Verstärker, einem RC-Netzwerk mit variablen R’s und C’s, dessen Konfiguration mit Steckern und Kabel verändert werden konnte und einem Oszillografen zur Darstellung des Resultats. Ein Bild aus seinem Laborbuch von ca 1938 (Per A. Holst: George A. Philbrick and Polyphemus-The First Electronic Training Simulator. Annals of the History of Computing, Volume 4, Number 2, April 1982 • 143ff) zeigt das Prinzip.

 

 

Oben ein (in diesem Fall dreistufiger) RC-gekoppelter Röhrenverstärker, der auch einen Begrenzer mit zwei antiparallel geschalteten Dioden enthält, unten das variable und veränderbare RC-Rückkoppelungsnetzwerk. Die Leitung nach oben nach der ersten Röhre (6F5) geht zum KO. Vielleicht sind bei Versuchen mit diesem Apparat solche Schwingungen aufgetreten, die Philbrick besser sehen/messen wollte.

Analogrechner waren ja sowieso das Hauptgeschäft von Philbrick. Er hat etwas später dann auch den Bau des ersten Operationsverstärkers angeregt (Julie und Ragazzini, Columbia University). Das steckbare Modul hatte 2 Röhren mit total 4 Trioden, einen Differenzverstärker „moderner“ Art mit einem + und einem – Eingang, eine Spannungsverstärkung von etwa 25'000 und ein Verstärkungs-Bandbreitenprodukt von 1 MHz. Von diesem Modul setzte er bis zu 40 Stück ein in seinem Analogrechner für die Berechnung von Geschossbahnen.

 CC BY-NC-ND

Teil 1: Philbrick Phasenschieber und Oszillator
Teil 2: Philbrick-Netzwerk als Phasenschieber
Teil 3: Experimente mit dem Philbrick-Netzwerk



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